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Pioniere in Rheinfelden

Mit der Einbindung des ersten Pellet-Blockheizkraftwerks der Schweiz in den Wärmeverbund Rheinfelden Ost betrat die AEW im Jahr 2018 Neuland. Heute kennen die AEW Mitarbeitenden des Wärme-Betriebs-Teams die Anlage in- und auswendig. Sie läuft vollautomatisch und produziert fast rund um die Uhr Strom und Wärme.

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Wenn Roman Lerch die grossen Metalltüren des Betriebsgebäudes öffnet, hält er kurz inne, horcht und schaut sich aufmerksam um. «Wenn irgendetwas nicht stimmt, nehme ich das oft schon beim Betreten des Raumes wahr», erklärt er. «Wenn es komisch riecht oder falsch tönt, weiss ich schon, dass es ein Problem gibt.» Der Geruch von Rauch etwa würde darauf hindeuten, dass irgendwo ein Filter verstopft ist oder eine Klappe klemmt. An diesem Mittwoch scheint aber wie meist alles in Ordnung zu sein. Nur ein leises Rasseln ist zu hören, wenn die Pellets durch das Zuleitungsrohr in den Gasreaktor befördert werden.

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Das leistet das Blockheizkraftwerk Rheinfelden

Hohe Auslastung

Roman Lerch schlägt einen Ordner mit verschiedenen Checklisten auf. Die Liste für die Vergasereinheit umfasst vierzig Punkte, welche bei den drei wöchentlichen Kontrollgängen zu prüfen sind. Lerch erklärt, dass trotz Automatisierung und Fernüberwachung vieles händisch ausgeführt werden müsse: «Das Wasser in der Gaswasch- Wasserflasche zum Beispiel, das kann ich nicht am Computer auswechseln.» Auch der Füllgrad der Auffangsäcke für die Asche muss alle paar Tage vor Ort kontrolliert werden. Je nach Auslastung der Anlage füllen sich die mannshohen Säcke innert rund einer Woche. Wenig verwunderlich, wenn man bedenkt, dass die Anlage mit jährlich fast 8000 Betriebsstunden praktisch ununterbrochen läuft und dabei rund 900 Tonnen Holzpellets verbrennt.

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Wobei «verbrennen» den Vorgang im Reaktor eigentlich nicht korrekt beschreibt: Die Pellets werden in einem thermochemischen Verfahren in vier temperaturabhängigen Phasen und unter genau abgestimmter Luft- und Materialzufuhr in ein brennbares Gas umgewandelt. Bis zu 900 Grad beträgt die Temperatur im Reaktor. Nach durchschnittlich 600 Betriebsstunden wird die Anlage per Fernsteuerung heruntergefahren und kühlt während 36 Stunden aus, bevor der Gasreaktor geöffnet werden kann. Roman Lerch und seine Kollegen entfernen die Schlacke, die sich im Innern gebildet hat, tauschen Filter aus und reinigen die gesamte Anlage.

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Wiederentdeckte Technologie

Die ersten Versuche, aus Holz oder Kohle Gas zu gewinnen, reichen zurück bis ins 17. Jahrhundert. Die Produktion von Holzgas ist also kein neues Verfahren. Neu ist hingegen die Nutzung in Wärme-Kraft-Kopplungsanlagen (WKK), die gleichzeitig Wärme und Strom produzieren. Wer bisher mit Holz Strom erzeugen wollte, brauchte ein Dampfkraftwerk: Mit der Verbrennung von Holz wird Wasserdampf erzeugt, der eine Turbine antreibt. Diese Technik eignet sich aber vorwiegend für Grossanlagen mit einer Energieproduktion von einigen Megawatt, erst dann ist ihr Wirkungsgrad ausreichend. Eine Alternative für kleinere Anlagen bietet die Holzgasproduktion: Hier wird das Holz zunächst in einem Gasreaktor durch Pyrolyse in Gas umgewandelt, welches anschliessend in einem Gasmotor verbrannt wird, der Strom und Wärme erzeugt (siehe Infografik auf den Seiten 8–9). Die Anlage auf dem Gelände der Saline Riburg war 2018 die erste Holzgasanlage in der Schweiz, welche mit Holzpellets betrieben wurde.

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Innovative Eigenentwicklung

Pellet-Blockheizkraftwerke sind eine Eigenentwicklung der deutschen Firma Burkhardt GmbH. Vor rund zwanzig Jahren begann das Unternehmen, sich mit dem in Vergessenheit geratenen Holzgas zu beschäftigen und konnte 2008 schliesslich die ersten Prototypen in Betrieb nehmen. Für Holzpellets als Brennstoff sprachen zwei Gründe: Zum einen haben Pellets eine etwa dreimal höhere Energiedichte als Hackschnitzel. Zum anderen sind sie genormt, ihr Brennwert bleibt also immer gleich.

Aus Pellets gewonnenes Holzgas treibt den Gasmotor an
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Von Holzgas angetriebener Gasmotor

Erfahrung ist alles

Dennoch zeigten sich in Rheinfelden zunächst Leistungsschwankungen von 5 bis 10 Prozent. Das könnte daran gelegen haben, dass die Pellets bei Transport und Lagerung Feuchtigkeit ausgesetzt waren, vermutet Roman Lerch: «Am Anfang wurden die Pellets noch mit einem Becherwerk ins Silo eingebracht. Seitdem wir die Pellets vom Tanklastwagen direkt ins Pelletlager einblasen, haben sich die Werte eingependelt.»

Nach einer Stunde hat Lerch die Tageskontrolle abgeschlossen und heftet die ausgefüllten Checklisten ab. Der gelernte Elektroinstallateur kennt die Pionieranlage in Rheinfelden seit über fünf Jahren. In dieser Zeit wurden laufend neue Erkenntnisse gewonnen, Betrieb und Wartung konnten so stetig optimiert und angepasst werden. Das bedeutete auch für Lerch immer wieder neue Fragen und Herausforderungen. Angesichts der Vielfältigkeit seiner Aufgaben in Rheinfelden meint er deshalb abschliessend: «Meinen Job kann man nicht einfach erlernen. Aber man kann ständig dazulernen – so bleibt es spannend.» Durch Erfahrung und eine enge Projektbegleitung (siehe Box oben) ist die Pionieranlage heute ein erprobter Bestandteil der Energieversorgung in Rheinfelden.

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Forschung und Innovation

Das erste Schweizer Pellet-Blockheizkraftwerk wurde von Forschenden des Paul-Scherrer-Institutes (PSI) wissenschaftlich begleitet. Sie analysierten z. B. die Zusammensetzung des erzeugten Holzgasgemischs und verglichen die Abgasemissionen mit anderen Biomasseanlagen.

Auch die AEW hat wichtige Erkenntnisse gewonnen. Durch eine Skalierung dieses Anlagentyps kann etwa in Gegenden, wo es viele holzverarbeitende Betriebe gibt, relativ kostengünstig ein Nahwärmenetz und eine dezentrale Energieerzeugung realisiert werden. Die Pilotanlage in Rheinfelden passt zum Bestreben der AEW, die Ziele der Energiestrategie 2050 umzusetzen und eine diversifizierte, nachhaltige Energieversorgung sicherzustellen.